Navigation: Mit Mathematik von A nach B
„In 50 Metern rechts abbiegen, dann links halten!“
Mit Anweisungen wie diesen lotsen moderne Navigationsgeräte tagtäglich Millionen Autofahrer durch die Straßen der Welt. Die handlichen Geräte machen Ortskenntnisse unnötig, niemand muss mehr Orientierungspunkte in der Landschaft identifizieren oder die Himmelsrichtung am Sonnenstand ablesen.
Aus dem Zusammenspiel der hoch über den Wolken kreisenden Navigationssatelliten und der handlichen GPS-Empfänger auf der Erde erfährt jeder, wo er steht und wohin sein Weg führt. Was beim Autofahren schnell in Vergessenheit gerät: Damit die kleinen praktischen Helfer im Alltag funktionieren, bedarf es vielfältiger mathematischer Berechnungen. Deshalb eignet sich das Thema Navigation optimal für einen realitätsnahen Mathematikunterricht.
Themenübersicht
GPS, Galileo & Co.
Im Mai 2000 schaltete das US-amerikanische Verteidigungsministerium die absichtliche Signalverschlechterung seines Global Positioning Systems – kurz GPS – ab.
Damit stand das bisher nur militärisch genutzte Satellitensystem erstmals der Zivilbevölkerung zur Verfügung. Der Boom der Navigationssysteme fürs Auto begann. Auf etwa zehn Meter genau konnte damals jeder stolze Navi-Besitzer seine Position auf der Erde bestimmen, heute sind die Angaben sogar noch exakter.
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GPS ist das bekannteste, aber nicht das einzige Satellitennavigationssystem. In Russland macht das Satellitensystem GLONASS den Amerikanern Konkurrenz, China versucht seit 2004, mit COMPASS die Abhängigkeit von GPS zu verringern.
Seit Oktober 2012 kreisen zudem vier europäische Navigationssatelliten um die Erde. Sie gehören zum Programm Galileo, dem einzigen nicht-militärischen der vier weltweiten Satellitennavigationssysteme. „Im Endausbau werden wir 30 Galileo-Satelliten im Orbit haben“, erklärt Walter Päffgen, Geschäftsführer des Galileo-Kontrollzentrums im bayerischen Oberpfaffenhofen. „In drei Umlaufbahnen werden dann je neun aktive und ein Ersatzsatellit um die Erde kreisen.“ Päffgen arbeitet schon seit der Planungsphase zur Jahrtausendwende im Galileo-Projekt mit. Trotzdem hat die Satellitennavigation für ihn nichts an Faszination eingebüßt: „Die Präzision ist einfach unglaublich – wenn man sich vorstellt, dass man mithilfe von Informationen aus weit entfernen Satelliten seine Position auf den Zentimeter genau bestimmen kann!“
Damit die Satelliten zuverlässig ihre Aufgabe erfüllen, sind sie randvoll mit hochsensibler Technik bepackt. „Zwölf Jahre lang sollen die Satelliten funktionieren. Das ist ein langer Zeitraum, zumal wir nach dem Start nicht mehr direkt an die Systeme herankommen. Auf der Erde gibt es nichts Vergleichbares“, betont Päffgen. Systempflege und Wartung werden komplett von den Kontrollstationen auf der Erde gestartet. Allein in Pfaffenhofen ist ein 70-köpfiges Team am Werk, um rund um die Uhr die bisherigen vier Galileo-Satelliten zu überwachen und dafür rund 20.000 Messwerte im Blick zu behalten – zum Beispiel Temperaturen, Speicherzustände, Drehzahlen und Spannungswerte. „Insbesondere die Atomuhren sind sehr empfindlich“, berichtet Päffgen. „Sie können nur in einem bestimmten Temperaturbereich ausreichend genau arbeiten.“
Keine Satellitentechnik ohne Mathematik
Um den Betrieb der Galileo-Satelliten zu überwachen, arbeiten neben zahlreichen Ingenieuren auch mehrere Mathematiker im Galileo-Kontrollzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Unsere Mathematiker führen die zum Teil sehr komplexen Berechnungen im dreidimensionalen Raum durch, etwa die Lagebestimmung und Lagekontrolle. Außerdem entwickeln sie Algorithmen für die Navigation“, erläutert Päffgen.
Unter anderem kommen numerische Mathematik und sphärische Geometrie bei der Arbeit mit Satellitennavigation zum Einsatz – Bereiche, die normalerweise im schulischen Mathematikunterricht keine große Rolle spielen. Trotzdem lassen sich viele Prinzipien der Navigation auch in der Schule auf einfachere Weise veranschaulichen, zum Beispiel durch Berechnungen in der Ebene. Um die Grundfragen der Navigation und die Orientierung im Koordinatensystem der Erde zu verstehen, lohnt sich zudem ein Blick zurück in die Geschichte – in die Navigationsmethoden der großen Seefahrer.
Das Koordinatensystem der Welt
Tipp: Mehr Informationen und Übungen zur Bestimmung der Längen- und Breitengrade sind auch im Abschnitt „Rückblick: So navigierten die großen Seefahrer“ zu finden.
Schon seit den Zeiten der ersten Seefahrer orientieren sich die Menschen an dem Koordinatensystem, das die modernen Navigationssatelliten heute noch immer verwenden. Nur die Lage des Nullmeridians – des 0. Längengrads – war lange Zeit uneinheitlich. Erst 1884 auf der Internationalen Meridiankonferenz in Washington verständigten sich die Nationen auf den Verlauf des Nullmeridians bei der damaligen Sternwarte im Londoner Stadtteil Greenwich.
Breite | Länge | Format |
---|---|---|
52° 30’ 58,56’’ N | 13° 22’ 40,12’’ O | Grad, Minuten, Dezimalsekunden |
52° 30,976’ N | 13° 22,669’ O | Grad, Dezimalminuten |
52,516268° N | 13,377811° O | Dezimalgrad |
Obwohl das Koordinatensystem seitdem weltweit einheitlich ist, gibt es für die Angabe von Geokoordinaten verschiedene gängige Schreibweisen, die zwischen Grad- und Dezimalangaben wechseln. So befindet sich zum Beispiel das Brandenburger Tor bei folgenden Koordinaten:
Unterrichtsanregung
Bitte deine Schüler mit einem GPS-Gerät oder mithilfe des Internets (zum Beispiel Google Earth) die Geokoordinaten ihrer Wohnungen zu ermitteln. Entwickle mit deinen Schülerinnen und Schülern Rechenwege, um Gradangaben in Dezimalangaben umzurechnen.
Zum Vertiefen: Besteckrechnung
Wie lässt sich anhand von zwei Geo-Koordinaten berechnen, wie groß die Entfernung zwischen beiden Punkten ist?
Das Problem: Während der Abstand zwischen den Breitenkreisen konstant ist, hängt der Abstand zwischen den Längengraden davon ab, auf welcher Breite man sich befindet: Am Äquator sind die Distanzen am größten, zu den Polen hin werden sie immer kleiner. Seeleute nutzten für die Berechnung von Entfernungen früher das so genannte nautische Besteck – Zirkel, Dreieck, Seekarte.
Davon abgeleitet nennt man die Entfernungsberechnung zwischen zwei Koordinaten bis heute Besteckrechnung. Einen Einstieg dazu kann zum Beispiel hier nachgelesen werden:
Noch einmal etwas höher, in 23.222 km, kreisen die ersten vier europäischen Galileo-Satelliten. Jedes System benötigt etwa 30 Satelliten, in regelmäßigen Abständen in drei verschiedenen Bahnen angeordnet, um Satellitenortung rund um die Uhr überall auf der Welt zu ermöglichen. Denn das ist nur machbar, wenn das Signal von mehreren Satelliten gleichzeitig empfangen werden kann. „Vier Satelliten sind das absolute Minimum, um eine Positionsbestimmung durchführen zu können“, erklärt Walter Päffgen von der DLR-Gesellschaft für Raumfahrtanwendungen, welche die Galileo-Satelliten steuert.
Keine moderne Ortsbestimmung kommt ohne eine genaue Zeitmessung aus. Deshalb befinden sich an Bord der Satelliten Atomuhren, die die Zeit auf Sekundenbruchteile genau messen. Drei Angaben zur Positionsbestimmung senden die Satelliten in kurzen Intervallen aus: 1. ihre Identifikation, 2. ihre genaue Position und 3. die Uhrzeit, zu der das Positionssignal den Satelliten verlassen hat. Aus der Zeitdifferenz zwischen Sender und Empfänger lässt sich die Entfernung des Satelliten berechnen.
Empfängt ein Navigationsgerät das Signal nur eines Satelliten, dann sagt dies sehr wenig über die genaue Position des Empfängers aus: Die möglichen Orte, an denen er sich befinden kann, bilden eine Kugel um den Satelliten. Befindet er sich gleichzeitig auf der Erdoberfläche, dann kommen alle Schnittpunkte zwischen Erdoberfläche und der Kugel um den Satelliten in Frage – ein Kreis. Das Signal eines zweiten Satelliten grenzt die Lokalisierung weiter ein: Befindet sich der Empfänger auf der Erdoberfläche, reduziert sich die Anzahl der möglichen Positionen auf maximal zwei – die Schnittpunkte der beiden „Kreise“, auf denen jeweils das Signal der einzelnen Satelliten empfangbar ist. Mit dem Signal eines dritten Satelliten schließlich lässt sich eine eindeutige Position auf der Erdoberfläche bestimmen. Noch genauere Informationen liefert ein viertes Satellitensignal: Es ermöglicht eine Positionsbestimmung im dreidimensionalen Raum, also auch unabhängig von der Erdoberfläche.
Im Fachjargon heißt die Positionsbestimmung anhand von Satellitensignalen „Trilateration“. Um die speziellen Problemstellungen der sphärischen Geometrie zu umgehen und dennoch das Prinzip der Satellitenortung im Unterricht zu untersuchen, bietet es sich an, die Berechnungen im zweidimensionalen Raum durchzuführen, indem das Koordinatensystem der Erde als Ebene betrachtet wird.
Unterrichtsanregung
Zwei Satelliten kreisen in Höhe von 20.200 km über der Erdoberfläche. Entfernung zum GPS-Empfänger auf der Erdoberfläche:
Satellit 1: 22.000 km entfernt über den Koordinaten 37° N und 100° O Satellit 2: 21.000 km entfernt über den Koordinaten 15° N und 70° O
Folgende Fragen könnten im Mathematikunterricht besprochen werden:
- Wie lässt sich die Erdoberfläche als zweidimensionales Koordinatensystem darstellen? Welche Schreibweise der Geo-Koordinaten eignet sich am besten für die Rechnung?
- Wo in dem Koordinatensystem liegen die Kreise, auf denen sich GPS-Empfänger befinden können, die jeweils nur das Signal eines der beiden Satelliten empfangen? Wie groß ist der Radius dieser Kreise?
- Wo liegen die Schnittpunkte der zwei Kreise?
- Überlegung: Lassen sich die Ergebnisse auf die (runde) Erde übertragen?
- Angenommen, die Erde wäre eine perfekte Kugel mit einem Radius von 6.360 km, wie weit kann ein Satellit maximal vom Empfänger auf der Erdoberfläche entfernt sein? (Zur Erinnerung: Die Umlaufbahn der Satelliten liegt in 20.200 km Höhe).
Wenn die Uhren falsch gehen
Theoretisch müssten drei Satellitensignale ausreichen, um eine eindeutige Position im dreidimensionalen Raum zu bestimmen. In der Praxis reicht das aber nicht aus. „Das Problem besteht darin, dass der Empfänger nicht über eine synchronisierte Atomuhr verfügt. Deshalb braucht man Informationen von einem vierten Satelliten. Aus mathematischer Sicht ein Gleichungssystem mit vier Unbekannten: x, y, z und t“, erläutert Päffgen.
Anders gesagt: Wenn die Uhrzeit im Empfängergerät auch nur minimal von der tatsächlichen Zeit abweicht, werden die Entfernungen zu den Satelliten falsch berechnet. In der Folge kann die Positionsbestimmung erheblich vom tatsächlichen Ort abweichen. „Eine Abweichung von einer Nanosekunde, also einer milliardstel Sekunde, bedeutet schon einen Fehler von 30 Zentimetern.“
Als „Pseudostrecke“ bzw. „Pseudorange“ bezeichnet die GPS-Technologie die falsch gemessenen Entfernungen, die aufgrund von Uhrenfehlern im Empfängergerät entstehen. Da aber der Uhrenfehler konstant ist – beispielsweise eine Abweichung von zwei Sekunden im Vergleich zu den Atomuhren an Bord der Satelliten –, lässt sich bei vier Satellitensignalen dennoch der genaue Standort ermitteln. Betrachtet man die Erdoberfläche wiederum als Ebene, reichen für die Uhrenkorrektur drei Satellitensignale.
Die Abweichung wird sichtbar, wenn sich die möglichen Standorte des Empfängergeräts nicht in einem Punkt schneiden, sondern eine größere Schnittfläche der drei Kreise entsteht. Die Uhrzeit im GPS-Empfänger wird anschließend so justiert, dass die GPS-Signale auf einen einzigen Punkt hindeuten – den Mittelpunkt des Inkreises innerhalb der Schnittfläche der drei Kreise.
Unterrichtsanregung
Auch zur Veranschaulichung der Pseudoranges bietet es sich an, im zweidimensionalen Raum zu arbeiten. Wiederum kommen die beiden bereits genannten Satelliten zum Einsatz. Ihre tatsächliche Entfernung zum GPS-Empfänger auf der Erdoberfläche:
Satellit 1: 22.000 km entfernt über den Koordinaten 37° N und 100° O
Satellit 2: 21.000 km entfernt über den Koordinaten 15° N und 70° O
- Wie lange braucht das Signal der beiden Satelliten bis zum Empfängergerät? (Zur Erinnerung: Die Lichtgeschwindigkeit beträgt 299.792.458 m/s.)
- Angenommen, die Uhr im Empfängergerät geht im Vergleich zu den Atomuhren der Satelliten um eine Sekunde nach, um wie viel zu lang oder kurz würde dann die Entfernung zu den Satelliten erscheinen?
- Wie würden sich der Radius der beiden Kreise und die Lage ihrer Schnittpunkte dadurch ändern?
Spurenlesen im GPS-Zeitalter
In vielen Haushalten ist GPS-Technologie vor allem im Auto-Navigationsgerät zu finden. Weniger verbreitet sind die handlichen GPS-Empfänger, die zum Beispiel Bergsportler oder Freizeitradler verwenden. Für den Mathematikunterricht bieten sie aber einen entscheidenden Vorteil: Sie geben nicht nur den Weg zu einem Ziel vor, sondern können unterwegs zudem den gesamten Streckenverlauf, die so genannten Tracking-Daten, speichern.
Auf diese Weise ermöglichen sie zum Beispiel Wanderern, auch in nicht kartierten Gegenden ihren Rückweg zu finden. Alternativ zum GPS-Gerät können ebenfalls viele Smartphones Tracking-Daten aufzeichnen, nachdem eine entsprechende App installiert wurde. Tracking-Dateien haben die Endung .gpx und können zum Beispiel im Internet unter http://www.gpsvisualizer.com ausgelesen oder auf einer Karte veranschaulicht werden.
Zahlreiche Ideen für den Einsatz von GPS-Tracking-Daten im Mathematikunterricht – zum Beispiel das Vermessen des eigenen Schulhofs mit der Gaußschen Schuhbandformel – bietet die Arbeitsblätter-Sammlung von Wolfgang Riemer im Internet.
Orientierung ohne Geo-Koordinaten: Drehfunkfeuer
Die Einteilung der Welt in Koordinaten und das Hantieren mit GPS-Geräten sind heute so alltäglich, dass viele andere Methoden zur Positionsbestimmung gar nicht mehr konkurrenzfähig erscheinen.
Aber es gibt sie – und sie werden tagtäglich genutzt. Zum Beispiel das klassische Drehfunkfeuer, das auch heute noch Flugzeugpiloten Auskunft über ihre Position gibt.
Drehfunkfeuer – das geläufigste Verfahren trägt den Namen VOR für „VHF Omnidirectional Radio Range“ – senden ein UKW-Signal aus, das dem Flugzeug mitteilt, in wie viel Grad es sich im Vergleich zum VOR befindet. 0° gibt dabei die magnetische Nordrichtung vor. Aus Sicht der Trigonometrie interessanter wird es, wenn ein Flugzeug im Bereich mehrerer VORs fliegt. Allein in Deutschland stehen insgesamt 61 dieser Drehfunkfeuer, ihre Positionen sind den Flugzeugen bekannt. Erhalten die Flugzeuge Signale von mehr als einem VOR, können sie eine Kreuzpeilung vornehmen und so ihre Position ermitteln.
Unterrichtsanregung
Ein Flugzeug fliegt im Bereich der beiden VORs „Bremen“ (53° 20’ 47’’ N, 8° 45’ 38’’ O) und „Weser“ (53° 20’ 52’’ N, 8° 52’ 31’’ O). „Bremen“ liegt aus Sicht des Flugzeugs auf 260°, „Weser“ auf 350°.
- Zeichne mit deinen Schülern die beiden VORs in einer Karte ein. Wo kann sich das Flugzeug befinden?
- Wie könnte eine rechnerische Lösung für die Aufgabe aussehen? (zum Beispiel Geradenschnitt, Sinussatz)
- VORs orientieren sich am magnetischen Nordpol und nicht am geografischen, sie geben also so genannte missweisende Werte an. Um die Missweisung auszugleichen, muss die jeweilige „Ortsmissweisung“ bekannt sein. In Bremen beträgt sie im September 2013 etwa 1° 45’’. Das heißt, die Magnetnadel weicht um diesen Wert nach Osten ab. Wo befindet sich das Flugzeug, wenn die Missweisung herausgerechnet wird?