Gesunde Mathematik

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Blutdruck, Körper­temperatur, EKG

Das sind nur drei Beispiele dafür, wie Körperwerte Rückschlüsse auf die Gesundheit erlauben. Auch die Gesundheit ganzer Gesellschaften lässt sich mit Mathematik fördern. Mathematik ist zum Beispiel nötig, um Ansteckungsrisiken zu berechnen oder die Bestandteile gesunder Ernährung zu ermitteln. In der modernen Medizinforschung sind Mathematikerinnen und Mathematiker heute wichtiger denn je: Sie helfen mit, Krankheitsursachen auf die Spur zu kommen, frühzeitig Erkrankungen zu entdecken oder Behandlungsmethoden zu verbessern.

Unser Körper funktioniert wie eine extrem feinjustierte Maschine. Um herauszufinden, ob alles rund läuft, können Medizinerinnen und Mediziner unzählige Messwerte unter die Lupe nehmen. Wer seinen Gesundheitszustand verbessern möchte, kann viele dieser Werte beeinflussen, zum Beispiel durch gesündere Ernährung oder mehr Bewegung.

Orientierung geben dabei Durchschnittswerte und Empfehlungen – auch sie werden mit mathematischen Methoden ermittelt. Viele Zahlen rund um Körper und Wohlbefinden sind höchst beeindruckend. Zum Beispiel wäre der DNA-Strang, der sich im Kern jeder Zelle befindet, ausgestreckt um die zwei Meter lang – trotzdem passt er in einen nur Bruchteile eines Millimeters großen Zellkern.

Der menschliche Körper in Zahlen

Wie wäre es im Mathematikunterricht mit einem Schätzspiel? Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel in Gruppen verschiedene Schätzfragen beantworten. Die Auflösung folgt direkt nach der Frage – viele der Zahlen geben Anhaltspunkte für weitere Fragen.

Eine noch spannendere Variante ist ein Schätz-Quiz (Fermi-Fragen), zum Beispiel mit einer Quiz-Ratewand am interaktiven Whiteboard. Viele statistische Angaben zum Körper lassen sich für Fermi-Fragen nutzen: Die Schülerinnen und Schüler suchen dabei nach Wegen und Informationen, um qualifizierte Schätzungen abzugeben.

Stoff und weitere Quellen für Schätzfragen zum Thema Körper bietet diese Tabelle:

Unterrichtsanregung

Augen

Der Mensch blinzelt etwa zehn bis 15 Mal pro Minute bzw. etwa 15.000 Mal am Tag. Jede Träne wiegt etwa 1,5 Gramm und enthält 0,9 Prozent Salz. Einmal richtig Heulen entspricht knapp 70 ml Wasserverlust. Ein Mensch weint im Durchschnitt 70 Liter im Leben.

Blut

Blut braucht eine Minute, um einmal durch den ganzen Körper zu fließen, wenn er gerade ruht – bei körperlicher Anstrengung nur 20 Sekunden. Reiht man alle Blutgefäße aneinander, ergibt das 96.000 Kilometer. Das entspricht nicht ganz dem 2,5-fachen Erdumfang. Rund 10.000 Liter Blut fließen täglich durch die Aorta.

Darm

Die Oberfläche des Darms ist zwischen 30 und 40 Quadratmeter groß.

DNA

Der Mensch besitzt höchstens 20.000 Gene. Die ganze Helix hat einen Durchmesser von ungefähr zwei Nanometern.

Gehirn

Das Gehirn eines Erwachsenen besitzt im Durchschnitt 86 Milliarden Nervenzellen. Mit bis zu 360 Kilometer pro Stunde (oder 100 Meter pro Sekunde) bewegen sich Impulse im Nervensystem. Alle Nervenzellen des Körpers ausgebreitet ergeben eine Fläche von 28.000 Quadratmetern.

Haare

Kopfhaare wachsen etwa einen Zentimeter im Monat. Jeden Tag fallen 60 bis 100 Haare aus. Brünette Menschen haben rund 100.000 Haare, während es Blonde auf bis zu 140.000 Haare bringen. Die Anzahl der Haare bei Rothaarigen ist am geringsten: Sie besitzen nur etwa 85 000 Haare. Rund fünf Millionen Haare hat der Mensch auf dem Körper.

Haut

Die Körperoberfläche einer 1,70 Meter großen und 65 Kilogramm schweren Frau beträgt etwa 1,75 Quadratmeter.

Knochen

Der Mensch hat 206 bis 214 Knochen – abhängig von der Art der Zählung. Die Hälfte davon befindet sich in den Händen und Füßen. Der kleinste Knochen ist der Steigbügel im Ohr: Er misst 2,6 bis 3,4 Millimeter und wiegt 2 bis 4,3 Milligramm. Der längste Knochen ist der Oberschenkelknochen mit ca. 50 Zentimetern Länge.

Körper

Männer sind in Deutschland im Durchschnitt 1,80 m groß, Frauen 1,66 m.

Lunge

Jeder Mensch atmet etwa 12.000 Liter Luft am Tag ein.

Muskeln

Der Mensch hat über 650 Muskeln. Unter unserer Gesichtshaut verbergen sich 26 Muskeln. Sie sind unter anderem für die Mimik zuständig („mimische Muskulatur“).

Nägel

Das monatliche Nagelwachstum beträgt zwischen zwei und fünf Millimeter.

Nase

Menschen niesen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 160 Kilometern pro Stunde. Die Nase besitzt 350 Geruchsrezeptoren.

Nieren

Im Körper fließen ca. fünf bis sechs Liter Blut, das unablässig durch die Nieren gefiltert wird. Innerhalb von 24 Stunden filtern die Nieren auf diese Weise rund 1.500 Liter Blut.

Schweiß

Der Mensch besitzt bis zu drei Millionen Schweißdrüsen. Ein Mensch verdunstet zwischen einem halben und sechs Liter Schweiß pro Tag.

Speichel

Menschen produzieren am Tag 600 bis 700 ml Speichel, in Hochphasen sogar bis zu zwei Liter.

Zellen

Der menschliche Körper besteht aus etwa 30 Billionen Zellen. Das Schimpansen-Genom stimmt zu 98,7 Prozent mit dem menschlichen Genom überein. Bei einem Erwachsenen sterben in jeder Sekunde rund 50 Millionen Zellen ab und werden durch neue Zellen ersetzt.

Same but different: Körperpropor­tionen vergleichen

Im Großen und Ganzen sind Menschen ziemlich einheitlich gebaut. 

So entspricht zum Beispiel bei den meisten Menschen die Armspannweite in etwa der Körperlänge – was nützlich zu wissen ist, wenn man etwa grob die Größe von Zimmern einschätzen möchte. Sieht man aber genauer hin, zeigen sich feine Unterschiede: Bei einigen Menschen ist die Armspannweite etwas größer, bei anderen überwiegt die Körperlänge. Ob diese Variationen über alle Körpergrößen hinweg regelmäßig verteilt sind, kann ein Experiment im Mathematikunterricht zeigen. Andreas Eichler und Markus Vogel schlagen in „Leitidee Daten und Zufall: Von konkreten Beispielen zur Didaktik der Stochastik“ ein schönes Unterrichtsprojekt dazu vor.

Ernähren sich alle so gesund, wie sie glauben?

Obst und Gemüse sind gesünder als Schokolade, zu viel Fett macht dick – die Grundsätze gesunder Ernährung sind den Schülerinnen und Schülern sicher bekannt. Aber im Detail ist es gar nicht so einfach zu beurteilen, wie gesund ein einzelner Mensch wirklich isst. Ein guter Anlass für eine Statistik in der Klasse! Die Grundlage dafür bietet der „Ernährungskreis“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Er zeigt anschaulich, aus welchen Bestandteilen unsere Ernährung bestehen sollte und welche Lebensmittel in die verschiedenen Lebensmittelgruppen gehören.

Unterrichtsidee

Den Angaben der DGE entsprechend führen die Schülerinnen und Schüler eine Woche lang Buch über ihre Ernährung. Am Ende ermitteln sie die Anteile der Lebensmittelgruppen in ihrer Ernährung und zeichnen ihren eigenen Ernährungskreis. Anschließend werten die Schülerinnen und Schüler gemeinsam aus und entwickeln Diagramme.

Mögliche Fragen dafür:

  • Gibt es Ernährungstrends in der Klasse, die von der DGE-Empfehlung abweichen?
  • Unterscheidet sich die Ernährung am Wochenende vom Essen unter der Woche?
  • Wie lässt sich die Ernährung in der Klasse am besten der DGE-Empfehlung anpassen:
    Worauf müssten die Schülerinnen und Schüler verzichten, wovon müssten sie im Lauf einer Woche mehr essen – und wie viel mehr?
  • Wie gesund ernähren sich die Schülerinnen und Schüler im Vergleich zur gesamten Bevölkerung in Deutschland?

Herden­immunität: mit Mathematik Krankheiten ausrotten

Einer der größten Erfolge in der Geschichte der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die Ausrottung der Pocken.

Ab 1966 drängte eine beispiellose weltweite Impfkampagne das Virus immer weiter zurück. Ende der 1970er Jahre registrierte die WHO die letzten Erkrankungen, 1980 erklärte sie die Krankheit für ausgerottet. Auch wenn damals nahezu flächendeckend geimpft wurde, ist es kaum gelungen, wirklich jeden einzelnen Menschen zu schützen.

Das war allerdings gar nicht nötig: Ist ein ausreichend großer Prozentsatz geimpft, dann schützt das auch die nicht Geimpften – im medizinischen Fachjargon heißt das Herdenimmunität. Die Logik: Krankheitserreger können sich nur verbreiten, indem sie immer wieder neue „Opfer“ finden. Je höher aber der Anteil der geimpften Personen ist, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass eine infizierte Person eine andere ansteckt – bis schließlich die Erreger aussterben.

Wie hoch der Anteil der geimpften Personen sein muss, um Herdenimmunität zu erreichen, ist von Krankheit zu Krankheit verschieden. Bei den Pocken reichte eine Impfquote von 80 Prozent aus. Im Kampf gegen die Masern ist das nicht genug. Entscheidend für die Schwelle zur Herdenimmunität ist die sogenannte Basisreproduktionszahl R0. Sie gibt an, wie ansteckend eine Krankheit ist – genauer gesagt, wie viele Personen ein infizierter Mensch im Schnitt anstecken würde, wenn niemand immun wäre. Während die Basisreproduktionszahl bei den Pocken bei 5 bis 7 liegt, würde eine an den Masern erkrankte Person im Schnitt zwölf bis 18 weitere Menschen infizieren. Keuchhusten ist mit einer Basisreproduktionszahl von 12 bis 17 fast genauso ansteckend.

Aus der Basisreproduktionszahl R0 lassen sich rechnerisch drei verschiedene Szenarien für die Entwicklung für Infektionskrankheiten entwickeln:

  • Fall 1: Gilt R0>1, kann sich eine Krankheit zur Epidemie ausweiten.
  • Fall 2: Bei R0<1 verschwindet die Erkrankung in absehbarer Zeit.
  • Fall 3: Gilt R0=1, wird der Erreger langfristig überleben, ohne dass es zu einer Epidemie kommt.

Dass trotz der hohen Ansteckungsgefahr keine Masern- oder Keuchhustenepidemie deutschlandweit um sich greift, liegt natürlich daran, dass ein großer Teil der Bevölkerung gegen diese Krankheiten geimpft ist. Das heißt, der Anteil der für den Erreger empfänglichen Personen (Epidemiologen sprechen von „S“, für „Susceptibles“) liegt nicht bei 100 Prozent, sondern weit darunter. Damit sich die Krankheit erhält, aber nicht weiter ausbreitet, muss für den Anteil der nicht immunen Person S gelten: S × R0 = 1 bzw. S=1/R0. Geht man im Fall der Masern also von R0=18 aus, dann erhält sich die Krankheit, ohne epidemisch zu werden, wenn 1/18 bzw. etwa sechs Prozent der Bevölkerung nicht immun sind.

Daraus lässt sich errechnen, wie hoch der Anteil der geschützten Personen q – die Kollektivimmunität – sein muss. Es gilt q = 1 – S. Bei den Masern liegt q folglich bei 17/18 oder 94 Prozent. Dies ist die Schwelle, über der Herdenimmunität erreicht wird: Sind über 94 Prozent der Bevölkerung immun gegen die Masern, dann hat das zur Folge, dass eine infizierte Person statistisch weniger als eine weitere Person ansteckt – die Masernerreger werden zurückgedrängt und verschwinden langfristig.

An diese grundlegenden Überlegungen lässt sich weiter anknüpfen. Zum Beispiel, indem die Lernenden berechnen, wie hoch die Zahl der möglichen Masern-Ansteckungen in verschiedenen Regionen Deutschlands ist – einen Überblick über die Impfquoten liefert die Landkarte der Masern-Impfungen vacmap.de.

Andere Krankheiten sind weniger ansteckend – wo liegen die Schwellen zur Herdenimmunität? Zahlen dazu finden sich zum Beispiel in dieser Präsentation der Universität Leipzig (Folie 17).

Unterrichtsidee

Weitere Möglichkeiten, um im Unterricht der Sekundarstufe II die Ausbreitung von Krankheiten zu untersuchen, bietet die Modellierung: Wie kann sich eine Krankheit über die Zeit ausbreiten? Welche weiteren Angaben sind nötig, um das zu berechnen? Einen Überblick über verschiedene Rechenmethoden der Epidemiologie bietet die Universität Koblenz, lineare Algebra lässt sich zum Beispiel mit erkrankten Pinguinen vertiefen (ab S. 32), rund um die Modellierung von Epidemien wie AIDS und SARS ergeben sich zahlreiche Unterrichtsideen für die Oberstufe.

Bedingte Wahrscheinlich­keiten verstehen

Streptokokken, HIV, Immunität gegen eine Krankheit: Die meisten Menschen verlassen sich gern auf die Ergebnisse medizinischer Tests. Allerdings liefert kaum ein Test uneingeschränkt immer ein korrektes Ergebnis. Medizinerinnen und Mediziner sprechen dabei von „Sensitivität“ und „Spezifizität“.

Die Sensitivität gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass eine positive Person als solche erkannt wird. Die Spezifizität betrachtet den umgekehrten Fall: Sie sagt aus, wie hoch der Anteil der negativen Personen ist, die tatsächlich ein negatives Ergebnis erhalten. Ist zudem bekannt, wie hoch der Anteil der tatsächlich Infizierten ist, können sich die Schülerinnen und Schüler mithilfe von Baumdiagrammen und Rechnungen dem Konzept der bedingten Wahrscheinlichkeit und dem Satz von Bayes anschaulich nähern.

Unterrichtsidee

Fertige Unterrichtsideen behandeln zum Beispiel die bedingte Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit HIV-Tests oder das Screening nach Trisomie 21 im Rahmen der Schwangerschaftsdiagnostik. Auch der sogenannte Streptokokken-Schnelltest ist rechnerisch interessant. Studien beziffern die Sensitivität des Tests mit nur 86 Prozent, die Spezifizität des Tests aber mit 95 Prozent. Das Robert Koch-Institut erklärt in diesem Zusammenhang:

„Im Rahmen der Pharyngitis-Abklärung kann es […] sinnvoll sein, zunächst einen Antigen-Schnelltest durchzuführen, wobei die auf der Basis eines Antigennachweises z. Z. verfügbaren Schnelltests sehr spezifisch, aber nicht im gleichen Maße sensitiv sind. […] Bei positivem Testergebnis kann von einer Infektion mit Streptokokken […] ausgegangen werden. Bei negativem oder nicht eindeutigem Testergebnis sollte hingegen eine kulturelle oder ggf. molekularbiologische Untersuchung eines Rachenabstrichs erfolgen, um das weitere Vorgehen festlegen zu können und ggf. eine überflüssige antibiotische Behandlung zu vermeiden.“ Können die Schülerinnen und Schüler diese Angaben mathematisch stützen? Nimmt man an, dass – in einem beliebigen Wintermonat – 30 Prozent aller Schulkinder mit Streptokokken infiziert sind, dann lassen sich zum Beispiel Zahlen für die eigene Schule berechnen.

Eine Besonderheit der Streptokokken-Infektionen ist zudem, dass etwa 15 bis 20 Prozent aller mit Streptokokken infizierten Kinder keine Krankheitssymptome zeigen. Wie viele infizierte Kinder ließen sich an der Schule mit dem Test tatsächlich identifizieren, wie viele würden nicht erkannt? Wie viele der infizierten, aber symptomfreien Kinder würden auch nach dem Test „durchs Raster fallen“?